02. Mai 2023
Kolping und Handwerk – keine Verbindung ist in unserem Verband älter als diese. Die Sorge Adolph Kolpings galt den Handwerksgesellen seiner Zeit. Heute steht das Handwerk angesichts globaler Krisen und eines Krieges in Europa vor anderen Herausforderungen als im 19. Jahrhundert. Zudem macht sich der Fachkräftemangel akut bemerkbar. Warum das Handwerk trotzdem Zukunft hat, warum es sich für junge Menschen lohnt, hier eine Ausbildung zu machen und warum das Handwerk auch vom ehrenamtlichen Engagement lebt, darüber haben wir mit dem Landtagsabgeordneten und Bäckermeister Matthias Goeken (CDU) gesprochen.
Beginnen wir mit dem alten Sprichwort: „Handwerk hat goldenen Boden.“ Ist das noch so?
Die energieintensiven Betriebe haben es nicht leicht. Die Energiekosten sind nicht kalkulierbar oder hängen von dem Zufall ab, wann ich den Vertrag mit meinem Versorger geschlossen habe und zu welchen Konditionen. Das hat nichts mit betriebswirtschaftlicher Planung zu tun. Auch beim Kunden hört die Akzeptanz für höhere Preise irgendwo auf. Manche Betriebe bekommen große Probleme. Aber generell sage ich: Das Handwerk hat Zukunft. Wenn ich an die Arbeitsfelder der Zukunft denke, Photovoltaikbau, Wärmepumpenbau, Häuser dämmen, neue Fenster, ein neues Dach – dafür kann man keine künstliche Intelligenz und wahrscheinlich auch keinen 3D-Drucker einsetzen. Deshalb hat das Handwerk einen hohen Stellenwert.
Ist schon absehbar, wie lange die Krise andauern wird?
Ich kann natürlich nicht in die Glaskugel gucken. Die Stahl- und Holzpreise haben sich ein bisschen erholt, aber die Preise für Rohstoffe und Energie insgesamt sind exorbitant gestiegen. Gleichzeitig sind die Zinsen gestiegen, weshalb viele Menschen ihren Traum vom Eigenheim jetzt nicht verwirklichen. Wobei die Zinsen im Mittel der vergangenen 50 Jahre immer noch günstig sind. Auch die Lebenshaltungskosten sind extrem gestiegen. Deshalb bleibt der eine oder andere Auftrag aus. Das trifft auch auf Unternehmen zu: Wenn ich nicht weiß, wohin es in der Zukunft geht, bin ich vorsichtiger mit meinen Investitionen. Ich hoffe, dass die öffentliche Hand hier Programme auflegen wird, um dem Handwerk zu helfen.
Abgesehen von der aktuellen Krise war das Handwerk in den vergangenen Jahren im Aufwärtstrend – außer beim Nachwuchs. Woran liegt das?
Wir haben es mit der demografischen Entwicklung zu tun. Es gibt weniger Ausbildungsverträge, aber auch weniger Immatrikulationen an Hochschulen. Wir reden in fast jedem Beruf über den Fachkräftemangel. Wir haben zum Beispiel auch zu wenige Lehrer, das wird öffentlich diskutiert. Alle stürzen sich auf die jungen Menschen, die ihre Schulausbildung beenden. Der Wettbewerb um die Fachkräfte von morgen ist in vollem Gange. Die Ausbildungszahlen im Handwerk sind regional leicht unterschiedlich und von Gewerk zu Gewerk sehr unterschiedlich. Die Baby-Boomer steigen demnächst aus dem Erwerbsleben aus. Das wird richtig problematisch, wenn es uns nicht gelingt, speziell fürs Handwerk Nachwuchskräfte zu gewinnen.
"Alle stürzen sich auf die jungen Menschen, die ihre Schulausbildung beenden. Der Wettbewerb um die Fachkräfte von morgen ist in vollem Gange."
Welche Argumente sprechen in diesem Kampf um den Nachwuchs für das Handwerk?
Das Handwerk kann dadurch punkten, dass ich mit meiner Hände Arbeit ein Produkt herstelle, vom Anfang bis zum Ende. Ich habe nicht nur eine einzelne Aufgabe. Ich schaffe etwas vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Ein weiterer Punkt ist, dass es im Handwerk vielfältige Arbeitsfelder gibt. Während der Corona-Pandemie konnten viele Schulpraktika nicht stattfinden und Betriebe waren zwangsläufig zurückhaltender. Es ist wichtiger denn je, jungen Menschen das Handwerk näher zu bringen.
Gibt es immer noch die Eltern, die ihren Kindern sagen: „Du musst unbedingt studieren, sonst wird nichts aus Dir“?
Immer mehr junge Menschen machen einen gymnasialen Abschluss oder das Abitur an einem Berufskolleg. Wir dürfen das nicht mehr als Konkurrenz sehen. Wir müssen jungen Menschen das Handwerk näher bringen. Ich bin dafür, das schon im Kindergarten zu tun. Als ich ein Kind war, gab es in jedem Dorf eine Bäckerei, eine Fleischerei, eine Schmiede, eine Tischlerei. Da waren die Türen offen. Das alles wird heute in Gewerbegebiete ausgelagert. Das Handwerk ist nicht mehr sichtbar. Wir müssen daran arbeiten, dass das Handwerk wieder erlebbar wird. Die Fundamente werden schon im Kindergarten und in der Grundschule gelegt. Das Interesse ist da. Es muss aber auch gefördert werden. Die Betriebe sind gefordert, ihre Türen zu öffnen, Praktika anzubieten, junge Menschen in die Betriebe zu holen. Unser Bildungssystem ist durchlässig. Ich kann mit Abitur eine Ausbildung im Handwerk machen oder nach einer Ausbildung das Abitur machen.
In den Schulen beginnt die Berufsorientierung in der Regel in der 8. Klasse. Ist das zu spät?
Für die Berufsorientierung ist das richtig. Aber das Interesse muss früher geweckt und gefördert werden. Kinder, die reiten, erleben manchmal noch den Schmied, wenn die Pferde beschlagen werden. Die große Aufgabe für uns ist, neben der Berufsfindung, aber vor der Berufsfelderkundung bewusst zu machen, welche Berufe es gibt, und zu schauen, welches Kind Interesse hat.
"Die Betriebe sind gefordert, ihre Türen zu öffnen, Praktika anzubieten, junge Menschen in die Betriebe zu holen."
Was tut die Politik angesichts der aktuellen Krisen für das Handwerk?
Wir müssen die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Ausbildung vorantreiben. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem Meistertitel muss man Zugang zur akademischen Ausbildung finden können. Ein weiterer Punkt ist: Wenn ich eine Ausbildung mache, habe ich eine längere Lebensarbeitszeit als jemand, der studiert. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass zum Beispiel der Dachdecker am Ende seines Berufslebens anders tätig werden kann. Dass er mit Mitte 60 nicht mehr aufs Dach steigen kann, verstehe ich. Wir brauchen Lösungen, dass er sich anders engagieren kann, andere Arbeitszeitmodelle zur Verfügung hat. Er kann zum Beispiel junge Menschen in Berufsbildungszentren unterstützen. Wir müssen Wege finden, dass sein Wissen und seine Kompetenz nicht mit einem Enddatum verloren gehen. Ich wünsche mir, dass das offener gestaltet wird.
Ein lebensphasenorientiertes Arbeitsmodell?
Wenn wir die Menschen immer länger in der Arbeitswelt halten wollen, müssen wir passende Angebote finden. Heute sind Erziehungszeiten selbstverständlich. Väter nehmen Elternzeit und arbeiten in dieser Lebensphase weniger. Das muss auch möglich sein, wenn später die Eltern oder Großeltern gepflegt werden. Dafür brauchen wir unterschiedliche Modelle. Es gibt viele Menschen, die bereit sind, über den Renteneintritt hinaus zu arbeiten, vielleicht in Teilzeit. Die Welt ist heute flexibler und darauf müssen wir reagieren.
Warum ist es wichtig, dass sich Menschen in den Kammern ehrenamtlich für das Handwerk engagieren?
Das Ehrenamt ist grundsätzlich wichtig. In den Handwerkskammern gestalten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam mit den Arbeitgebern das Zukunftsbild des Handwerks. Dabei geht es nicht um das Tarifliche, das machen die Gewerkschaften. Es geht um Inhalte, um die zukünftige Ausrichtung der Berufsfelder. Ich kann jedem nur empfehlen, sich dort zu engagieren.
Bitte vervollständigen Sie abschließend den Satz: „Handwerk hat Zukunft, weil …“
… weil die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nur durch das Handwerk bewältigt werden können. Wer regionale Produkte und regionale Vermarktung haben will, muss das Handwerk und die Betriebe stärken. Das ist Ansporn und bietet vielfältige Chancen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Matthias Goeken, geboren 1964 in Paderborn, ist seit 2017 Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dort ist er Beauftragter der CDU-Fraktion für das Thema Handwerk. 1987 legte er die Meisterprüfung im Bäckerhandwerk ab. 1993 übernahm er die Leitung der familieneigenen Bäckerei. Mit Einzug in den Landtag übergab er das Unternehmen an seinen Sohn. Seit November 2022 bildet Matthias Goeken zusammen mit der Landtagsabgeordneten Dagmar Hanses (Die Grünen) das Leitungsteam des Kolping-Landesverbandes NRW.