03. Sep 2024
Alles beginnt mit einem Strich. In diesem Fall ist es ein geschwungener, mit einem Kugelschreiber auf ein leeres Blatt Papier gezeichnet. „Ein Strich geht immer“, sagt Barakat Haider Sharaf. Wie beiläufig zeichnet er weitere Linien, schattiert einige Stellen. „Schon ist es ein Weg oder eine Straße.“ Gekonnt platziert er weitere Striche. „Jetzt führt der Weg auf einen Berg. Und schon haben wir ein Motiv.“
Barakat Haider Sharaf ist Maler. Zeichner. Künstler. Auch wenn er sich mit diesem Wort ein bisschen schwer tut, denn Künstler*innen sind für ihn die bekannten Namen, mit denen er sich in seiner Bescheidenheit nicht vergleichen möchte. Pablo Picasso zum Beispiel, den er als Vorbild bezeichnet und mit dessen Leben sich der 28-Jährige ausführlich beschäftigt hat.
Barakat Haider Sharaf ist auch Mitarbeiter der Kolping-Jugendhilfe. Im Kolpinghaus Bielefeld arbeitet er mit den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die seit Mitte Februar dort leben. Ein Teil dieser Arbeit ist das Kunstatelier, in dem Barakat Haider Sharaf Angebote für die jungen Geflüchteten macht.
Das Atelier wird gut besucht. Eine feste Gruppe oder feste Termine gibt es nicht. „Das Angebot findet statt, wenn die Jugendlichen Lust und Zeit haben. Das funktioniert am besten“, sagt Barakat Haider Sharaf. Auch thematisch macht er beim Malen keine Vorgaben. „Wenn jemand etwas malt, muss es aus seinem Herzen kommen.“ Nur wenn ein Teilnehmer gar keine Ideen hat, wie er das Papier oder die Leinwand vor sich füllen kann, macht Barakat Haider Sharaf Vorschläge. Zum Beispiel den Kugelschreiber-Strich, der zum Weg auf den Berg wurde und der die Antwort auf die Frage war, wie man der Scheu vor dem leeren Blatt begegnet. Ein bisschen Anleitung darf aber doch einfließen, denn „Kunst ist auch Bildung“. So stellt Barakat Haider Sharaf von Zeit zu Zeit verschiedene Materialien und Techniken vor. „Ein Künstler sollte immer offen dafür sein, Neues kennenzulernen.“
Barakat Haider Sharaf malt und zeichnet seit seinem dritten Lebensjahr. „Malen ist ein Teil von mir“, sagt er. Die Natur begeistert ihn als Motiv am meisten, schon als Kind. Das Malen hat er sich selbst beigebracht. „Oft hatte ich zwar Buntstifte, aber kein Papier. Dann habe ich in meine Schulhefte gezeichnet – auch wenn das manchmal Ärger mit den Lehrern gab. Ich hatte keine andere Wahl.“
2011 musste Barakat Haider Sharaf aus dem Irak fliehen. Auch er kam als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland, lebte zunächst in einer Einrichtung, dem Kolpinghaus in Bielefeld vergleichbar. Er machte das Fachabitur und eine Ausbildung zum Grafikdesigner. Bevor er im Februar dieses Jahres bei der Kolping-Jugendhilfe anfing, gab er ehrenamtlich an verschiedenen Stellen in Bielefeld Malkurse. „Die Kunst begleitet mich durch mein Leben. Als mich alles verlassen hatte und ich alles zurücklassen musste, blieb mir trotzdem die Kunst.“
Dass das Malen für die Teilnehmenden im Kolpinghaus Bielefeld immer wieder auch Therapie ist, weiß Barakat Haider Sharaf. Dass er kein ausgebildeter Therapeut ist, weiß er ebenso. „Ein Teilnehmer hat einmal ein weinendes Kind gemalt, das zu seiner Mutter möchte“, erinnert er sich. „In solchen Momenten bin ich sehr vorsichtig mit Fragen. Ich gehe nicht tiefer ins Gespräch, möchte aber grob wissen, was die Jugendlichen bewegt. Manchmal kann es helfen, wenn ich von meinen eigenen Erfahrungen berichte.“ Mit seinem Angebot möchte Barakat Haider Sharaf etwas zurückgeben von dem, was er als junger Geflüchteter in Deutschland erfahren durfte.
Demnächst möchten die Teilnehmenden des Ateliers ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren. Eine Ausstellung im Kolpinghaus in Bielefeld ist in Planung. Genaue Zeiten stehen noch nicht fest.
Da für das Atelier immer wieder Ausstattung benötigt wird (Papier, Leinwände, Farben, Pinsel, Stifte, etc.) und mittelfristig wegen der großen Nachfrage auch ein größerer Raum, sind Spenden herzlich willkommen.
Wer das Kunstatelier für unbegleitete minderjährige Geflüchtete unterstützen möchte, kann sich an Einrichtungsleiter Eugen Regier wenden: Tel. 0521 96792901 oder eugen.regier@kolping-jugendhilfe.de