24. Mai 2024
Es ist der 24. Oktober 1929. An der New Yorker Aktienbörse sacken die Aktienkurse unaufhaltsam ab. Panik bricht aus. Der „Black Thursday“, der einen Tag als „Schwarzer Freitag“ die Weimarer Republik erreicht, ist Auslöser der Weltwirtschaftskrise. Für die junge Demokratie in Deutschland ist er der Anfang vom Ende. Wie war das Leben in den Kolpingsfamilien in dieser Zeit, Anfang der 1930er Jahre? Wir waren wieder zu Gast in Meschede bei unserem ehemaligen Diözesanvorsitzenden Gerd Tietz, der zu diesem Thema recherchiert hat.
In Folge der zusammenbrechenden Wirtschaft wurden viele Menschen arbeitslos. Auf dem Höhepunkt der Krise stieg die Arbeitslosenquote in Deutschland auf knapp 31 Prozent. Die Arbeitslosen- und Sozialversicherungen waren überlastet. Sie konnten nur ein Viertel der Betroffenen unterstützen. Hunger, Obdachlosigkeit und Kriminalität waren die Folge. „1930 waren von rund 92.000 Kolping-Mitgliedern in Deutschland rund 37.700 arbeitslos“, berichtet Gerd Tietz. „Aber die Gesellenvereine waren in dieser Zeit in großem Maße eine Hoffnung für ihre arbeitslosen Mitglieder.“
Schon Adolph Kolping lagen die arbeitslosen Gesellen am Herzen, weiß Gerd Tietz, der ein ausgewiesener Kenner unserer Verbandsgeschichte ist. In Kolpings Schriften finden sich zwischen 1859 und 1865 immer wieder Briefe, in denen er Freunde bat, junge Gesellen ohne Beschäftigung einzustellen oder Kontakte zu Handwerksbetrieben zu vermitteln. „In den nächsten Tagen wird sich Dir mit einer Empfehlung von mir ein junger Mann aus Elberfeld vorstellen, den ich Dir herzlichst empfehle“, heißt es in einem dieser Briefe aus dem Jahr 1859. Drei Jahre später setzte sich Kolping für einen Buchdrucker ein: „Wenn möglich, beschäftige ihn eine zeitlang oder schaffe ihm bei Ferdinand Arbeit (…). Es wäre nicht gut, wenn der prächtige Bursche unter wildes Volk käme.“
Doch zurück in die 1930er Jahre. Im Kolpingblatt vom 15. März 1930 hieß es: „Das blasse Gespenst der Arbeitslosigkeit geht umher und saugt unseren Mitgliedern den Mut und die Kraft, die Freude und die Hoffnung aus dem Herzen.“ 1931 schuf die Regierung die gesetzlichen Grundlagen für den freiwilligen Arbeitsdienst. Wer sich daran beteiligte, erhielte für die freiwillige Arbeit 2 Mark pro Tag – so auch viele Kolpingmitglieder. „Die Arbeitsämter erteilten jeweils Genehmigungen für einzelne Projekte“, erzählt Gerd Tietz. „In Sennelager bei Paderborn schufen 300 junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren aus unfruchtbarem Heideland Ackerboden. Auf Antrag des Generalsekretariates in Köln wurden 1933 in Kerpen 95 Morgen Land in Ackerland umgewandelt. Daran waren 50 junge Männer beteiligt. Außerdem richteten sie Siedlungs- und Kleingartenland her und legten Wege an. Wiederum in Paderborn stellten Schreinergesellen die Inneneinrichtung für eine Kirche im Erzgebirge her. Und in Iserlohn-Letmathe bauten arbeitslose Mitglieder der Kolpingsfamilie zwischen 1930 und 1933 das Kolpinghaus.“
„Wenn möglich, beschäftige ihn eine zeitlang oder schaffe ihm bei Ferdinand Arbeit (…). Es wäre nicht gut, wenn der prächtige Bursche unter wildes Volk käme.“
Adolph Kolping 1862 in einem Brief an einen Freund
Bei seinen Recherchen hat Gerd Tietz auch Beispiele für finanzielle Hilfen gefunden. Unter anderem dieses: Die Kolpingsfamilie Hagen-Zentral gab 1931 täglich 70 Mittagessen an arbeitslose Mitglieder aus. Die Mitglieder bezahlten dafür 10 Pfennige. Jeweils weitere 10 Pfennige steuerten das Wohlfahrtsamt und die Kolpingsfamilie zu den Kosten bei. Auch Bildungsangebote für Arbeitslose gab es in Hagen, unter anderem Kurse im Metall- und Schusterhandwerk, Staatsbürgerkunde und Sprachkurse in Englisch und Esperanto. In verschiedenen anderen Kolpingsfamilien sind Aktivitäten wie Exerzitien und Einkehrtage, Wanderungen, Sportveranstaltungen, Laienspielscharen und Chöre, ein Mundharmonika- und ein Zitherorchester oder eine Schachgruppe dokumentiert. 1930 hatten 571 Kolpingsfamilien eigene Bibliotheken mit mehr als 103.000 Büchern.
„Diese Beispiele stehen stellvertretend für die vielen Aktivitäten der Kolpingsfamilien in dieser Zeit“, sagt Gerd Tietz. „Unbestritten bleibt ein Nachwirken in unserem Verband, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele Mutlose und Enttäuschte nicht resignieren ließ.“